Hallo zusammen!
Wir alle wissen wohl wie wichtig es im Leben ist, von Zeit zu Zeit immer wieder mal inne zu halten und den Ist-Zustand aktiv zu hinterfragen, anstelle sich (zu häufig) ziellos dahin treiben zu lassen und am Ende kaum noch Kontrolle über das eigene Leben zu haben, sich über Dinge im Rahmen unserer Handlungsmöglichkeiten zu beschweren und die Verantwortung auf andere abzuwälzen.
Reflexion ist eine sehr wertvolle Fähigkeit, welche es uns ermöglicht die Wiederholung von Fehlern zu vermeiden, für uns bessere Wege zu erschließen und auch generell an der eigenen Lebensqualität zu feilen.
Worauf möchte ich nun mit dieser Einleitung hinaus?
Sicherlich bin ich nicht der Einzige, welcher etliche Projekte im Laufe der Zeit gestartet und wieder fallengelassen hat. Selten ging davon etwas an die Öffentlichkeit, da ich oftmals dem "the next big thing" in Form neuer Ideen hinterher schaute.
Ein Projekt stellte jedoch eine Ausnahme dar und wurde von mir vor ein paar Jahren exklusiv im alten MV-Forum vorgestellt (noch ist es immer noch online, der Link könnte in Zukunft jedoch ins Leere führen) und durch einen eigenen Discord-Server (wird als Archiv aufrecht erhalten) ergänzt.
The Untamed Wild (2018-2020)
Was waren meine Ziele für das Projekt?
In erster Linie wollte ich ein isometrisches ARPG erschaffen, welches sich vom Setting her mehr der Eisenzeit annähert (wesentlich "unverbrauchter" und herrlich "primitiv"), gepaart mit Fantasy-Elementen und mit einem Fokus auf die natürliche Nahrungskette der dazu erdachten Spielwelt.
Der Mensch sollte in dieser Welt nicht mit modernen Schusswaffen, Magie oder (anderen) Massenvernichtungswaffen andere Spezien unterdrücken können, sondern sich als Teil des Ganzen mit der Natur arrangieren und seinen individuellen Platz in der Nahrungskette suchen. Dabei spielte auch die spärliche Besiedelung des Landes in Form kleiner Stadtstaaten (samt ihrer Innenpolitik) eine wichtige Rolle, welche von der ungezähmten Wildnis umgeben waren. Man könnte sagen, dass diese Welt leicht dystopische Züge hatte.
Für das Gameplay wollte ich gerne die Umgebung mit einbeziehen, indem man beispielsweise marode Felsensäulen auf (größere) Gegner herabstürzen lassen konnte oder diese in die Nähe gefährlicher Flora lockte. Daneben sollte es ein simples Fraktionssystem, Housing und eine klassische Geschichte von Kameradschaft & Verrat, aber auch Schutz der Heimat vor verschiedenen Bedrohungen geben.
Primäre Inspirationen stellten für mich hierbei unter anderem Folgende Spiel(reihen) dar:
- Die Monster Hunter-Reihe (Gameplay)
- The Witcher (Stimmung und Charaktere)
- Diablo 2 (Orientierung für den (teilweise okkulten) Stil des Spiels)
Doch nun zu den Rahmenbedingungen! Wie sahen meine Ressourcen für dieses Unterfangen aus?
Zu der Zeit als ich das Projekt startete, verschob sich mein Freizeit-Fokus allmählich wieder primär auf die Spieleentwicklung. Zuvor hatte ich mir durch "Rocksmith", 'nem einjährigen Musikschulbesuch und analoge Spielereien etwas das Musizieren erschlossen.
Ich war Single, arbeitete nach einem (augenöffnenden) beruflichen Zwischenfall auf einer 3/4 Stelle und hatte somit durchaus etwas Freizeit!
Meine Stärken sah ich persönlich in der Lore, dem Ehrgeiz in PixelArt stetig besser zu werden und dem erdachten GameDesign.
Meine Schwächen bestanden definitiv im Programmieren mit Syntax, dem zu groß gewähltem "Scope" für das Projekt und gewissermaßen auch darin, dass ich mich zeitlich fest einschränkte - aber dazu gleich mehr!
Ich hatte Kontakt mit einer Freelancerin aufgenommen, welche für mich die verschiedenen Bewegungs-Templates der Charaktere anfertigen sollte, da ich mit Animationen noch keine wirkliche Erfahrung hatte und dies gerne von Anfang an auslagern wollte. Leider blieb es jedoch lediglich bei je einer 8-dir Standpose pro Geschlecht, danach erfolgte auf weitere Anfragen keine Rückmeldung mehr.
Auch nahm ich Kontakt zu einem erfahrenen Musiker für einen kleinen, aber feinen OST auf, jedoch wurde mir unwohl dabei wie der Start der Bearbeitung nach hinten verschoben wurde, sodass ich den Auftrag zurückzog. Es gab also durchaus den Willen, auch etwas Geld in die Hand zu nehmen, um mir etwas Luft zu verschaffen.
Für die Grafiken hatte ich hierbei um die 90€ in das Projekt gesteckt.
Leider führten diese Erfahrungen jedoch auch dazu, dass ich bei Freelancern vorsichtiger wurde, was die "Anonymität des Internets" VS bereits mir (persönlich) bekannter Künstler betrifft und von weiteren Bestrebungen dieser Art letztendlich absah.
Später ging ich als "Giveaway" noch zu einer Druckerei und ließ mir das Logo zu meinem Projekt als Sticker erstellen. Der Kostenpunkt dürfte so um die 30€ betragen haben. Macht alles in allem also 120€, welche ich finanziell für das Spiel investiert hatte. Der investierte Zeitfaktor wiegt hierbei natürlich um ein Vielfaches mehr.
(Links: Der Schaffensprozess des Logos mit einem Scan als Ausgangspunkt. Rechts: Das ausgedruckte Logo auf meinem Laptop für "Außeneinsätze".)
Wie verteilte ich meine Zeit?
Tatsächlich steckte ich recht viel Zeit in dieses Projekt! Ich erschloss mir Godot als neue Engine, welche auf den ersten Blick eine Menge toller Funktionen enthielt, pixelte fleißig vor mir her (was wohl auch mein Hauptzeitaufwand gewesen sein dürfte) und setze einen Discord-Server auf, welcher sich rasch etwas füllte und auch aktiver wurde. Die Themen gingen über von Recherchen zu verschiedenen Bauweisen, gegenseitigem Feedback zu kleineren Werken bis hin zu einem neu eingeführten Format mit wöchentlichem Rhytmus - der "Pixel-Guess-Friday"! Und gerade dieses Format wurde zu einem Segen und Fluch zugleich!
Da ich hauptsächlich mit dem Pixeln beschäftigt war und mich durch etliche Tutorials wühlte, um meine Spielfigur pixelgenau auf einer isometrischen Berechnungsgrundlage in alle 8 Richtungen bewegen zu können, lag es nahe sich im Hinblick auf die eigene Komfortzone (Programmieren war für mich einfach ein enormer Kraftaufwand) auf den Pixel-Guess-Friday zu konzentrieren!
Leider führte dies jedoch dazu, dass ich 3 meiner 7 Tage in der Woche darauf verwendete, mehr an der Optik, als wirklich an den Kernsystemen des Spiels zu arbeiten. Ein paar wenige wurden zwar fertig, aber hätte ich das jetzt mal für ein paar Jahre hochgerechnet - das Projekt hätte sich ewig in Entwicklung befunden.
Der "Scope" und die gewählte Engine waren nicht optimal auf meine Fähigkeiten zugeschnitten. Auch das Zeit Management hatte noch ordentlich Luft nach oben.
Gründe für den Abbruch des Projektes:
Sicherlich kann man sich nun bereits einiges zusammenreimen!
Ganz klar der größte Grund war wohl, dass ich mich mit den Größenverhältnissen des Spiels zu sehr übernommen hatte. Gewissermaßen hatte ich zwischenzeitlich mehr die Brille eines Spielers an (die "Eierlegende Wollmilchsau"), als die des Entwicklers, welcher das auch alles bewerkstelligen muss!
Ein weiterer (erfreulicher) Grund war, dass ich aufgrund der anstehenden Geburt meines Sohnes künftig wesentlich weniger Zeit (und Schlaf) haben würde! Das war gesetzt und natürlich freute man sich auch auf diese aufregende Zeit. Aufgrund des bisherigen "Zeit Managements" war im Vorfeld klar, dass es so nicht weiter gehen konnte.
Nachrangig war es natürlich auch schade, dass es mit dem Auslagern einzelner Themen nicht geklappt hatte, aber das sind mehr Randnotizen, da der "Scope" und die Anzahl an Baustellen, wo neue Fähigkeiten erworben werden mussten, einfach zu enorm waren.
Was sind meine Lektionen aus diesem Projekt und was würde ich auch anderen anraten?
Planung:
Denkt am besten stets in Teilschritten (also modular), analysiert genau welche Systeme ihr für das Gameplay braucht und versucht diese konsequent abzuarbeiten, anstelle euch in die eigene Komfortzone zu flüchten.
Auch sollte man schauen, dass man lieber zu klein plant als zu groß, da am Ende wegen auftretenden Bugs, Unwägbarkeiten des sonstigen Lebens oder kleinen "happy accidents" doch nochmal mehr Zeit in das Projekt einfließt, als anfangs gedacht!
Gerade als Einzelentwickler gibt es Grenzen, welche man selbst mit einer Menge Willensstärke nicht ohne anderweitige Kosten dafür verschieben kann.
Zeit Management:
Prioritäten sind das A und O. Hierfür verlinke ich auch gerne nochmal auf meine bereits erteilte Podcast-Empfehlung!
Sei es die Eisenhower-Matrix, das Pareto-Prinzip oder andere Hilfsmittel - man sollte sich nie zu lange an kleinen Baustellen aufhalten und schauen, dass man auch beim Hauptaspekt des Spieles stetig voranschreitet.
Dem einen oder andere dürfte der berühmte "Perfektionismus" bekannt sein. Er hat durchaus seine Vorzüge was das Steigern der eigenen Fähigkeiten betrifft, sollte jedoch nie zum Selbstzweck mutieren.
Wenn man kommerziell fokussiert unterwegs ist, sind Deadlines wohl unabdingbar. Bei einer Mischform (welche ich persönlich eher anstrebe) oder wenn man das Ganze als Hobby betreibt, können Deadlines meiner Meinung nach unter Umständen sogar eher kontraproduktiv sein, da sie stets nur den Plan darstellen, wie etwas sein sollte, aber nicht alle potenziellen Faktoren enthalten, welche Ergebnisse nach hinten verschieben können.
Gerade wenn man hier noch wenig Erfahrung hat, kann eine gesetzte Deadline schnell mal zu optimistisch gewählt sein. Entweder setzt man sich dann zu sehr unter Druck oder man nimmt es irgendwann nicht mehr richtig diszipliniert/ernst, was die Methode der Deadline dann vollkommen entwertet und überflüssig macht.
Discord:
Eine sehr mächtige Plattform welche ein tolles Bindeglied zwischen Entwicklern und Spielern sein kann!
Man sollte dieses Potenzial jedoch erst zur rechten Zeit nutzen (nicht zu früh) und durchaus bedenken, wie häufig man dort Zeit reinsteckt um mit anderen zu interagieren. Das aktive "Pixel-Gues-Friday"-Format führte durchaus zu Aktivität auf dem Server und ließ die Mitglieder gemeinsam rätseln, was die Lösung des nächsten Bildes sein könnte. Eigentlich eine richtig schöne und runde Sache, jedoch als Einzelperson besser nicht in einem wöchentlichen Rhytmus.
Von extrem wenigen Ausnahmen abgesehen hatte ich dieses Format anderthalb Jahre lang am Laufen gehalten, merkte jedoch auch wie es den Fortschritt bei anderen Baustellen des Projektes ausbremste oder mich aufgrund der zusätzlichen Hinweise und Lösungen mental das komplette Wochenende über beschäftigte, anstelle wirklich mal einen Tag fern des Hauptjobs wirklich abschalten zu können.
Hier wäre es definitiv ratsam gewesen, mit jemanden zu kooperieren, der diesen Part aktiver betreut als ich.
Patreon bzw. generelle Vorfinanzierungen:
Ich hatte mir ähnlich zu anderen Entwicklern des MV-Forums einen Patreon-Account erstellt, welchen ich im Laufe der Zeit dafür nutzen wollte, um (zumindest die Illusion davon) unabhängiger von meinem Hauptjob zu werden und gewissermaßen auch, um sich "placebo-mäßig" ein wenig mehr wie ein ernsthafter Entwickler zu fühlen.
Teilweise ging bei anderen durchaus etwas Geld umher, ich wartete jedoch mit der Freischaltung, bis ich ein klares Konzept für Patreon hätte und auch garantieren könnte, dass die Entwicklung nicht in's Leere verläuft.
Ich glaube gerade Letzteres ist einer der Gründe, warum beispielsweise "Early-Acess" oder "Kickstarter" inzwischen einen eher faden Beigeschmack haben.
Inzwischen denke ich, dass diese Form der Vorfinanzierung ein deutliches Warnsignal ist, da man im Ernstfall ein Projekt zu 100% eigenfinanzieren können sollte und fremdes Geld lediglich dazu gedacht ist, einzelne Features (gemäß diverser "Stretch-Goals") weiter ausbauen zu können.
Ich hoffe beim Lesen dieser Reflexion konntet ihr für euch etwas mitnehmen! Persönlich finde ich es immer spannend einen Einblick in die Vorgehensweisen anderer zu erhaschen und finde, dass man eigentlich immer irgendwas lernen kann - sowohl aus erfolgreichen, aber (gerade) auch aus gescheiterten Projekten.
Teilt gerne eure Gedanken und stellt Fragen - sicherlich sind ein paar davon offen geblieben!